ePA für 70 Mio. Deutsche | Das Nulljahr der Digitalen Pflegeanwendungen | Warten auf die KI-Entlastung
2025 war ein Jahr der Weichenstellungen
Nun beginnt die eher ruhige und besinnliche Zeit im Dezember und möchte die Gelegenheit nutzen, die prägendsten Eindrücke des Jahres 2025 mit Euch zu teilen. Selten fühlte sich ein Jahr so sehr nach erzwungenen Meilensteinen an wie dieses. 2025 war kein Jahr der organischen Evolution, sondern der regulatorisch durchgesetzten Fakten – ein Jahr der Weichenstellungen, dessen Konsequenzen uns noch lange begleiten werden.
In den unzähligen Gesprächen und Vorträgen kristallisierten sich drei Entwicklungen heraus, die das Geschehen dominierten und die ich hier beleuchten möchte: den monumentalen Rollout der elektronischen Patientenakte, die stille, aber umso kritischere Krise in der Pflegedigitalisierung und den Spagat der Kliniken zwischen massivem Investitionsdruck und dem großen, aber noch uneingelösten KI-Versprechen. Diese drei Entwicklungen zeigen ein gemeinsames Muster: Während die Politik 2025 die digitale Infrastruktur mit regulatorischer Wucht durchsetzte, blieb die entscheidende „letzte Meile“ – die wertstiftende, vertrauensvolle Nutzung durch Bürger, Pflegekräfte und Klinikpersonal – eine offene Baustelle für 2026.
1. Die ePA für alle: Ein Quantensprung mit Risiken?
Das definierende Digital-Health-Projekt des Jahres 2025 war ohne Zweifel der Start der elektronischen Patientenakte (ePA) für alle gesetzlich Versicherten. Mit dem durch das Digital-Gesetz (DigiG) geschaffenen Opt-out-Verfahren hat die Politik eine jahrelange Hängepartie beendet und die ePA mit beispielloser Wucht in die Breite getragen. Die quantitativen Erfolgsmetriken sind beeindruckend, doch sie erzählen nur die halbe Geschichte.
Der regulatorische Erfolg in Zahlen
Der Rollout war in seiner Skalierung ein Novum für das deutsche Gesundheitswesen. Die Fakten sprechen für sich:
- Flächendeckende Bereitstellung: Seit dem 15. Januar 2025 wird allen gesetzlich Versicherten automatisch eine ePA eingerichtet, sofern sie nicht aktiv widersprechen. So wurden für rund 70 Millionen Menschen digitale Akten angelegt.
- Die Lücke zwischen Bereitstellung und Nutzung: Während die Infrastruktur für fast die gesamte Bevölkerung geschaffen wurde, zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zur aktiven Nutzung. Bis Ende 2025 hatten laut Bitkom-Umfrage erst rund 4 Millionen Versicherte ihre Akte aktiv freigeschaltet und damit den persönlichen Zugriff hergestellt.
- Verpflichtende Befüllung: Seit dem 1. Oktober sind Leistungserbringer wie Ärzte und Kliniken dazu verpflichtet, relevante Dokumente in die ePA einzustellen, um den Mehrwert der Akten zu steigern.
Die qualitative Herausforderung: Zwischen Interesse und Kontrollverlust
Den beeindruckenden Zahlen steht jedoch eine spürbare Skepsis in der Bevölkerung gegenüber. Während das grundsätzliche Interesse hoch ist, 62 % der Befragten geben an, einen persönlichen Zugang zur ePA nutzen zu wollen , zeigen qualitative Studien ein differenziertes Bild der Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern:
- „Stilles Einverständnis“ (Silent Consent): Viele empfinden das Opt-out-Verfahren als eine Form der stillschweigenden Zustimmung, die ihnen das Gefühl gibt, übergangen worden zu sein.
- Angst vor Kontrollverlust: Die Sorge, die Hoheit über die eigenen, hochsensiblen Gesundheitsdaten zu verlieren, ist weit verbreitet.
- Mangelhafte Kommunikation: Der Eindruck, über die Funktionsweise, die Rechte und die Risiken der ePA nur unzureichend informiert worden zu sein, schürt Misstrauen.
Fazit: Technisch und quantitativ hat Deutschland 2025 mit dem Opt-out-Verfahren die Hürde der ePA-Verbreitung genommen. Die eigentliche Herausforderung für 2026 besteht jedoch darin, aus der reinen Verfügbarkeit eine akzeptierte und vertrauenswürdige Anwendung zu machen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt daher nicht in der Technik, sondern in der Generierung von Evidenz für den klinischen Mehrwert und in einer Kommunikationsstrategie, die Vertrauen schafft, wo das Opt-out-Verfahren Skepsis gesät hat.
Doch während die ePA alle Aufmerksamkeit auf sich zog, blieb die Digitalisierung in einem anderen, entscheidenden Sektor fast vollständig auf der Strecke.
Quellen:
- https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC11251894/
- Mehr Digitalisierung im Gesundheitssystem beschlossen – Deutscher Bundestag
2. Pflegeinformatik 2025: Warum die Digitalisierung an der Bettkante wartet
Keine Berufsgruppe ist so sehr auf digitale Entlastung angewiesen wie die Pflege. Umso alarmierender ist der Befund, dass die Pflegedigitalisierung im Jahr 2025 im Vergleich zu anderen Bereichen des Gesundheitswesens außerklinisch praktisch kaum stattgefunden hat. Während über DiGA-Erfolgsmessung und KI-Potenziale debattiert wird, herrscht bei den digitalen Anwendungen für die Pflege eine ohrenbetäubende Stille.
Das digitale Nulljahr der DiPA
Der zentrale und zugleich ernüchterndste Befund des Jahres ist der Entwicklungsstand der Digitalen Pflegeanwendungen (DiPA). Obwohl die gesetzliche Grundlage längst geschaffen ist, zeigte das offizielle DiPA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bis heute einen erschreckenden Status: Es ist keine einzige digitale Pflegeanwendung gelistet.
Dieser Nullstand steht im scharfen Kontrast zum bereits reifenden Markt der Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) und offenbart ein tiefgreifendes systemisches Problem. Dieser Stillstand bedeutet konkret, dass die Potenziale zur Reduktion der Dokumentationslast, zur digitalen Wundversorgung oder zur smarten Koordination von Pflegeplänen ungenutzt bleiben. Die dringend benötigte kognitive Entlastung für Pflegefachkräfte durch intelligente Werkzeuge findet nicht statt, was die Kluft zwischen dem digitalen Anspruch und der analogen Realität am Bett vergrößert.
Systemische Hürden bremsen den Fortschritt
Die Gründe für diese Verzögerung sind vielschichtig, aber klar identifizierbar:
- Verspäteter TI-Anschluss: Die Pflege hat erst im Laufe des Jahres 2025 ernsthaft mit dem Anschluss an die Telematikinfrastruktur (TI) begonnen. Der TI-Atlas der gematik zeigt, dass über 80 % der Pflegeeinrichtungen gerade erst einen elektronischen Heilberufsausweis (eHBA) beantragt haben oder besitzen – eine Grundvoraussetzung für die sichere digitale Kommunikation.
- Hohe regulatorische Anforderungen: Die Definition und der Nachweis eines „positiven Pflegeeffekts“ stellen für DiPA-Hersteller offenbar eine deutlich größere Herausforderung dar als die entsprechenden Nachweispflichten bei den DiGAs. Die Komplexität des Zulassungsverfahrens bremst die Marktentwicklung massiv aus.
Konklusion: Der „Nullstand“ bei den DiPAs ist mehr als nur eine statistische Randnotiz. Er markiert eine kritische Lücke in der nationalen eHealth-Strategie. Die dringend benötigte digitale Entlastung für Pflegefachkräfte und Pflegebedürftige bleibt aus, während die strukturellen Probleme des Sektors weiter wachsen.
Eine ähnliche Zwangslage, wenn auch unter anderen Vorzeichen, zeigte sich in den Krankenhäusern.
Quellen:

3. Klinik-Digitalisierung & KI: Rennen gegen die Zeit, Warten auf Entlastung
Für die deutschen Krankenhäuser war 2025 ein Jahr des finalen Countdowns. Getrieben durch das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG), standen die Kliniken unter einem enormen Druck, ihre Digitalisierung voranzutreiben – gefangen zwischen der Notwendigkeit, regulatorische Vorgaben zu erfüllen und der Hoffnung auf technologische Entlastung durch Künstliche Intelligenz.
Der KHZG-Endspurt: Digitalisierung unter Strafandrohung
Der primäre Treiber ist eine unerbittliche Frist: der 31. Dezember 2025. Bis zu diesem Datum müssen die Kliniken verpflichtende digitale Dienste – wie Patientenportale oder ein digitales Medikationsmanagement – mindestens beauftragt haben. Die Konsequenz bei Nichterfüllung ist drastisch: Ab 2026 droht ein finanzieller Abschlag von bis zu 2 % auf die DRG-Erlöse. Der Fokus dieser Pflicht-Tatbestände – von Patientenportalen (FTB 2) bis zum digitalen Medikationsmanagement (FTB 5) – zeigt klar, dass der Gesetzgeber nicht nur Infrastruktur, sondern eine direktere Einbindung von Patientenbesser Dokumentation und eine Erhöhung der Medikationssicherheit erzwingen wollte.
Dieser Mechanismus verwandelte das KHZG von einem reinen Förderprogramm in ein scharfes Compliance-Instrument. Die Kliniken sind gezwungen, in kurzer Zeit weitreichende Investitionsentscheidungen zu treffen, um Sanktionen abzuwenden.
Das Entlastungsversprechen der KI
Parallel zu diesem Zwang zur Investition wuchs die Hoffnung auf Künstliche Intelligenz als Lösung für die tiefgreifenden Personal- und Effizienzprobleme. Eine vielbeachtete Studie der Bertelsmann Stiftung fasste dieses „Entlastungsversprechen“ zusammen: KI soll vor allem in den Bereichen Administration, Dokumentation und Diagnostik unterstützen. Der zentrale, erhoffte Nutzen ist dabei die Zeiteinsparung für das überlastete Personal, das sich so wieder stärker den Kernaufgaben widmen könnte.
Die Realität: Ein Versprechen ohne Beleg
Doch hier zeigt sich der entscheidende analytische Kontrapunkt: Dieselbe Studie stellt klar, dass es bisher kaum empirische Belege für eine tatsächliche, messbare Entlastung des Personals durch KI-Anwendungen gibt. Diese Lücke zwischen Versprechen und Realität spiegelt sich auch in der Forderung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) nach einem klaren und verlässlichen Fahrplan für den KI-Einsatz wider.
Kern-Insight: Das Jahr 2025 zwang die Krankenhäuser zu massiven, compliance-getriebenen Digitalisierungsinvestitionen. Die erhoffte Entlastung, insbesondere durch KI, ist jedoch bisher eher eine strategische Vision als eine belegte Realität.
Mein Fazit für 2026: Von der Pflicht zur Kür
2025 war das Jahr der regulatorisch erzwungenen Digitalisierungsschritte. Mit dem Opt-out bei der ePA und dem drohenden Digitalisierungsabschlag des KHZG wurden Fakten geschaffen und Infrastrukturen auf den Weg gebracht. Die Basis steht nun. Doch der eigentliche Nutzen für Patientinnen, Pflegende und Ärzte ist in der Breite oft noch nicht spürbar. Die Pflicht ist erfüllt, die Kür steht noch aus.
Für 2026 muss sich der Fokus daher fundamental wandeln: weg von der reinen Implementierungspflicht hin zur wertebasierten Anwendung. Es geht nicht mehr nur darum, ob eine ePA existiert, sondern wie sie die Versorgung verbessert. Es geht nicht darum, ob ein Krankenhaus ein Patientenportal beauftragt hat, sondern wie dieses den Klinikalltag für alle Beteiligten erleichtert. Und es geht darum, die großen Versprechen – von der Entlastung in der Pflege bis zum KI-Einsatz in der Klinik – endlich mit Evidenz zu untermauern.
Damit die Digitalisierung nicht zu einem Selbstzweck verkommt, müssen wir den Mehrwert in den Mittelpunkt stellen. Das wird die große Aufgabe für 2026 sein.
Was war Dein eHealth-Highlight oder Deine größte Herausforderung in 2025? Und was muss 2026 passieren, damit die Digitalisierung wirklich in der Versorgung ankommt? Ich freue mich auf Deine Kommentare!